Intoleranz basiert auf der Annahme, ein normales Leben zu führen. Dies ist nicht nur vermessen, sondern auch überaus unrealistisch. Denn was ist eigentlich normal? Die Verschiedenheit der Menschen, ihrer Umstände und Möglichkeiten schließt das Vorhandensein einer allgemeinen Norm bereits kategorisch aus.

Toleranz per Gesetz

Wir haben das Glück, in einem Land zu leben, das uns unglaublich viele Freiheiten ermöglicht. Unser Grundgesetz bietet uns eine Maxime, die eine ausgezeichnete Basis für unser Sozialverhalten bietet:

Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit,

soweit er nicht die Rechte anderer verletzt.

Genaugenommen gibt es also eine grundsätzliche Verpflichtung zur Toleranz. Solange dein Handeln niemand anderen negativ beeinträchtigt, darfst du tun, was dir gefällt. Klingt zu schön, um wahr zu sein und in der Realität ist es das leider auch.

Es gibt viel zu viele Menschen, die versuchen, diese Freiheiten künstlich dadurch zu beschränken, dass sie ihren eigenen Vorstellungen einen höheren Stellenwert zusprechen, als denen ihrer Mitmenschen.

Geht es dir jetzt besser?

Warum sollte jemand, der davon überzeugt ist, das perfekte Leben zu führen, sein Glück dadurch schmälern, sich über die Unzulänglichkeiten anderer aufzuregen?

Leider sind intolerante Menschen von ihren eigenen Idealen häufig derart weit entfernt, dass sie durch den Fokus auf die Fehler der anderen davon abzulenken versuchen, wie wenig sie mit sich selbst zufrieden sind. Das Aufzeigen dieser Fehler verschafft ihnen einen kurzen Moment der vermeintlichen Überlegenheit.

Intoleranz ist die traurige Demonstration

der eigenen Unzufriedenheit.

Schlussendlich leidet jedoch die eigene Lebensqualität unter der permanenten Beschwerde über die Andersartigkeit der Menschen. Die Unzufriedenheit wird immer größer und es beginnt ein Teufelskreis, dem man erst entkommt, wenn man erkennt, dass sie niemandem nützt und einem selbst nur schadet.

Solange es mich nicht belastet

Vor einigen Jahren begaben wir uns auf die lange Reise des spanischen Jakobswegs. Wir wanderten mehrere Wochen viele hundert Kilometer weit und begegneten einigen äußerst interessanten Menschen.

Besonders zum Ende hin mehrte sich die Zahl derjenigen, die sich dafür entschieden hatten, ihren Rucksack nicht selbst zu tragen, sondern durch einen Fahrdienst von Ort zu Ort bringen zu lassen.

Wir, die wir bereits so viele Tage mit dem Gewicht unseres Gepäcks kämpften, empfanden es als Unverschämtheit. War es nicht Sinn dieser Reise, sich auch wenigstens ein kleines Bisschen zu quälen, um durch Aufopferung Körper und Seele zu reinigen?

Wir verbrachten einige Stunden, verteilt auf mehrere Tage, damit, uns über diese Menschen aufzuregen, die uns leichten Schrittes überholten, weil sie nicht wie wir bereits 800km in den Beinen und lediglich eine kleine Wasserflasche in der Hand hatten.

Unsere Stimmung wurde immer schlechter mit jedem Mal, bei dem wir einem dieser „Leichtgewichte" begegneten. Die Ablehnung ihnen gegenüber wurde schließlich so groß, dass sie die großartige Erfahrung, die dieser Weg für uns sein sollte, zu verderben drohte.

Und so stellten wir uns irgendwann die Frage, ob es das wert wäre. Die Antwort war selbstverständlich ein klares Nein. Denn als wir unseren Groll näher untersuchten, stellten wir fest, dass er jeglicher Grundlage entbehrte.

Die Pilgerreise auf dem Jakobsweg ist ein höchst individuelles Erlebnis, von dem sich jeder etwas anderes erhoffte. Die einen pilgern aus religiösen Gründen, andere suchen nach einem größeren Sinn und wieder andere sehen es ausschließlich als sportliche Herausforderung.

So verschieden die Menschen waren, denen wir begegneten, so unterschiedlich waren auch ihre Ziele – und keines davon war prinzipiell besser als ein anderes.

Die Tatsache, dass die „Rucksacklosen" nahezu unbeschwert ihres Weges gehen konnten, hatte keine Auswirkungen auf unsere eigene Reise. Unser Rucksack wurde dadurch nicht schwerer.

Wir trafen Pilger, deren Gepäck weit mehr als das Doppelte von unseren auf die Waage brachten. Sie hätten ebenso schlecht von uns denken können, wie wir zuvor die Menschen ohne Rucksack und es wäre ebenso unsinnig gewesen.

Jeder Mensch hat seine Geschichte

Im vergangenen Jahr sah ich im tiefsten Winter einen Mann, der in kurzer Hose durch einen verschneiten Park spazierte. Statt ihn dafür zu verurteilen, dass er so dermaßen unpassend gekleidet war, fragte ich mich nach seinen Beweggründen. War dies seine letzte saubere Hose? Hatte er eine Wette verloren? Oder war ihm einfach nur wirklich warm?

Der Mann wirkte weder verrückt noch verzweifelt. Ganz im Gegenteil, er machte einen äußerst zufriedenen und glücklichen Eindruck. Und war das nicht die Hauptsache? Es schien ihm gut zu gehen und alles Weitere brauchte mich in diesem Moment nicht zu interessieren.

Er hatte diese Entscheidung für sich selbst getroffen. Er allein musste mit der Kälte zurechtkommen (wenn ihm denn überhaupt kalt war) während ich wohlig warm unter meiner Jacke verpackt meinen eigenen Weg ging. Somit hatte seine Entscheidung nicht den geringsten Einfluss auf mein persönliches Wohlbefinden – auf welcher Grundlage sollte ich ihn also kritisieren?

Don’t judge a man until

you have walked a mile in his shoes

- Indianisches Sprichwort -

Selbst der Erfolg gibt dir kein Recht

Man könnte meinen, ein Self-made Millionär hätte sich durch seinen unbestreitbaren Erfolg das Recht erworben, über andere zu urteilen. Dabei hat er doch nur einen Weg gefunden, der für ihn persönlich der richtige war.

Die Realität zeigt jedoch, dass es daneben zum einen viele weitere gibt, das gleiche Ziel zu erreichen. Zum anderen gibt es unzählige Menschen, die dieses Ziel gar nicht erst verfolgen.

Vernünftig wäre es demnach, anderen Menschen als Vorbild zu dienen, ihnen zu zeigen, was erreichbar ist, sie zu inspirieren und zu motivieren. Dabei jedoch stets den nötigen Respekt dafür wahrend, dass der eigene Weg nicht als Blaupause für alle anderen gelten kann.

Kehre erst vor deiner Tür

Jeder kennt die Gespräche über diese „unmöglichen Schuhe" des Nachbarn oder diese „grauenhafte Halskette" der neuen Kollegin. Klatsch und Tratsch sind ein wichtiger Bestandteil sozialer Beziehungen. Dennoch sollten sie sie nicht hauptsächlich bestimmen.

Great minds discuss ideas;

average minds discuss events;

small minds discuss people.

- Eleanor Roosevelt -

Die Menschen neigen dazu, über die Makel der anderen ihre eigenen zu vergessen. Es mag egoistisch klingen, dennoch ist es besser, sich hier auf sich selbst zu konzentrieren, statt von anderen ein Maß an Perfektion zu erwarten, dem wir selbst nicht gerecht werden.

Ein großer Teil der Zeit, die wir darauf verschwenden, den Kleidungsstil, die Essgewohnheiten oder das neue Auto eines Kollegen zu diskutieren, könnte besser konstruktiv dafür genutzt werden, das eigene Leben und das anderer Menschen zu bereichern.

Es lebe die Vielfalt

Es ist nicht zu erwarten, je mit allen Mitmenschen in sämtlichen Bereichen übereinzustimmen. Wir alle versuchen nach Kräften, das Beste aus unserem Leben zu machen und gerade die Verschiedenheit unserer Lösungsansätze macht doch den Reiz menschlichen Zusammenseins aus.

Wir sollten nicht nur lernen, den Umstand zu akzeptieren, dass die Menschen verschieden sind und somit auch unterschiedliche Vorstellungen und Werte haben. Vielmehr sollten wir ihn als Chance sehen. Er kann uns helfen, unseren eigenen Horizont zu erweitern und macht die Welt insgesamt zu einem bunteren und interessanteren Ort.