Es scheint, als wäre das ganze Land im Stress. Jeder eilt von einem Termin zum nächsten, organisiert auf dem Weg dorthin noch eben die Treffen der kommenden Woche, das Handy in der einen, den Snack in der anderen Hand haltend, um keine Zeit zu verlieren. Man fällt spät am Abend vollkommen ausgelaugt ins Bett und beklagt sich am Ende des Tages darüber, dass dieser nur 24 Stunden hatte, in denen man sein Pensum unmöglich hätte bewältigen können.

Ein ganzes Land im Stress

Ein zumindest unterschwelliges permanentes Gefühl der Unruhe ist heutzutage zu einer Art Normalzustand geworden. Vielen Menschen ist der Stress, dem sie ausgesetzt sind, überhaupt nicht bewusst. Sie sind so sehr und so lange in ihrem Hamsterrad gefangen, dass sie sich eher Blutdruckmittel verschreiben lassen, als eine Pause von ihrem Dauerlauf einzulegen. “Eine Pause? Wovon? Mir geht’s gut! Ist leider gerade wirklich schlecht, muss noch zum Meeting, aber wir sollten uns mal wieder treffen!”

Man kann sich des Eindrucks kaum erwehren, dass sich die Welt immer schneller dreht. Einer Umfrage aus 2016 zufolge gehen 60% der Deutschen davon aus, ihr Leben sei in den vergangenen drei Jahren stressiger geworden. Auf der Liste der guten Vorsätze für das Jahr 2017 stand der Stressabbau laut einer anderen Umfrage bei fast 70% der Teilnehmer auf Platz eins.

Alles muss immer besser und effizienter ablaufen, viel mehr Arbeit muss in viel weniger Zeit absolviert werden. Es bleibt kaum ein Moment, um sich zu entspannen und selbst wenn er sich auftut, wird sogar dieser noch mit Aufgaben gefüllt.

Stress ist nicht gleich Stress

Die Auswirkungen von Stress auf die eigene Gesundheit hängen davon ab, wie wir ihn selbst bewerten. Positiver Stress, in der Psychologie auch als “Eustress” bezeichnet, wird selbst bei langer Dauer vom Betroffenen nicht als Belastung, sondern im Gegenteil sogar als förderlich wahrgenommen, als willkommener Ansporn, der die Leistungsfähigkeit eher noch steigert. Dies ist in der Regel der Fall, wenn der Stress verursachende Faktor als motivierend wahrgenommen wird und die Ausübung der Tätigkeit uns Spaß macht.

Durch die Vorbereitungen für eine größere Reise etwa mögen wir uns durchaus gestresst fühlen, empfinden dies jedoch zumeist nicht als negativ, da die Vorfreude auf den Urlaub die Anstrengungen der Planung bei weitem überwiegt.

So gut das Phänomen Eustress auch klingen mag, darf eine sehr wichtige Sache nicht vergessen werden: es handelt sich dabei trotz der “positiven” Einordnung noch immer um Stress! Er beschert uns in diesem Fall zwar reichlich Glücksgefühle, kostet aber dennoch wichtige Ressourcen, die uns nicht unbegrenzt zur Verfügung stehen.

Wesentlich deutlicher und vor allem direkter sind die Folge des sogenannten “Disstress”. Ist man ihm dauerhaft ausgesetzt und findet keine Möglichkeiten zur Kompensation, führt er im Gegensatz zum Eustress gerade zu einer Abnahme der Leistungsfähigkeit und in schlimmeren Fällen letztlich zu Burnout und Depressionen.

Ein Leben auf der Überholspur

Immer mehr Menschen führen ihr Leben wie auf einer Autobahn. Sie fahren viel zu lange viel zu nah an ihrer Höchstgeschwindigkeit, ignorieren sämtliche Warnsignale, bis irgendwann schließlich der Motor überhitzt und sie unvermittelt eine Vollbremsung einlegen müssen, um sich selbst zu schützen.

Es folgt eine Zwangspause, der Motor muss sich abkühlen, das System auf Schäden überprüft werden. Wir rufen den Pannendienst. Dieser attestiert uns nach kurzer Diagnose die Unversehrtheit unsers Wagens, weist jedoch mahnend darauf hin, dass das gerade noch gut gegangen sei und durchaus Schlimmeres hätte passieren können.

Der Dampf verschwindet, die Temperatur sinkt, wir lassen das Kühlwasser nachfüllen und ganz schnell sind der erste Schreck und der Vorsatz, ab sofort doch etwas vorsichtiger unterwegs sein zu wollen, vergessen - wir müssen weiter!

Blinker setzen, linke Spur und los! Tempomat bleibt unverändert, wird am besten noch etwas nach oben korrigiert, um den Zeitverlust kompensieren zu können. So geht es mit Vollgas zum nächsten Ausfall oder gar zum vollständigen Motorschaden.

Egal, ob positiv, oder negativ: zunehmende Stresslevel sind in jedem Fall ein schwieriges, sich immer weiter verschärfendes Problem unserer Gesellschaft. Aber wie kommt es, dass bei der Frage nach Überlastung so viel Einigkeit herrscht und dennoch kein Umdenken in den Köpfen der Menschen stattfindet? Woher kommt unser Stress und was können wir tun, um ihn zu reduzieren, unseren Alltag etwas zu entschleunigen und dem Hamsterrad zu entkommen?

Warum sind wir so gestresst?

Es ist ganz normal, in einem gewissen Maß von Stress belastet zu sein. Bedenklich wird es erst, wenn dessen Intensität unsere Kapazitäten übersteigt. Um hier effizient gegensteuern zu können, sollten zunächst die Ursachen untersucht werden. Im Folgenden soll dafür unterschieden werden zwischen tatsächlichem und empfundenem sowie zwischen vermeidbarem und unvermeidbarem Stress.

Die Annahme, vollkommen stressfrei leben zu können, ist schlichtweg unrealistisch. Selbst der Einsiedler allein hoch oben in den Bergen und der Waldschrat in der idyllischen Hütte am einsamen See muss man sich ernähren und kommt so nicht umhin, sich der Hektik des Jagens oder der Mühseligkeit des Sammelns auszusetzen.

Nicht anders sieht es in der modernen Welt aus. Viel zu tun auf der Arbeit, die Familie verlangt Aufmerksamkeit und nebenbei will auch noch ein Hobby verfolgt werden. Und sind wir mal ehrlich: ohne jeglichen Druck, ohne Herausforderung, wäre das Leben doch recht langweilig.

Dabei sollte jedoch die Intensität so angepasst werden, dass sie nicht kontraproduktiv wirkt. Reguliert wird dabei über den vermeidbaren Stress.

Überhaupt zur Arbeit zu gehen, treibt vielen Menschen bereits den Puls nach oben. Leider lässt sich daran in der Regel nichts ändern, wenn man ein halbwegs selbstbestimmtes Leben führen will. Steuerbar sind lediglich die Umstände, unter denen wir unser tägliches Brot verdienen.

Menschen sind verschieden und jeder hat seinen eigenen Toleranzbereich. Wer sich hier am unteren Ende befindet, sollte sich die Frage stellen, ob es denn wirklich die Position als stellvertretender Geschäftsführer sein soll, die tägliche Überstunden und Erreichbarkeit rund um die Uhr erfordert und dafür belohnt mit einem mittelmäßigen Gehalt und grauen Haaren mit Anfang 30.

Selbst wenn die Tätigkeit an sich Freude bereitet, sollten bei drohender Überlastung Optionen zur Stressreduzierung abgewägt werden. Konsequenter Abbau von Überstunden, Einschränkung der Erreichbarkeit, geregelte Pausen - all das sind selbstverständlich kritische Punkte, doch was nützt der beste Job, wenn er am Ende buchstäblich das Leben kostet?

Unabhängig vom tatsächlichen momentanen Stressniveau fühlen sich viele Menschen, als stünden sie ununterbrochen, permanent unter Strom. Das mag zum Teil davon kommen, dass das Thema allgegenwärtig ist und scheinbar immer stärker in den Fokus rückt.

Jeder ist gestresst, also muss ich es doch auch sein?! Und ehe man sich versieht, lädt man sich künstlich mehr auf, als eigentlich notwendig und leidet schließlich unter den gleichen Symptomen, wie die tatsächlich gestresste Bevölkerung.

Die Gesellschaft trägt ihren Teil zu dieser künstlichen Belastung bei. Wer nicht gestresst ist, wer nicht jede Minute seines Tages produktiv verbringt, gilt als nutzlos und faul. Du hast was gemacht? Auf der Wiese gelegen und in den Himmel geschaut? Hattest du nichts zu tun?!

Wer nicht lernt, sich von derartigen äußeren Zwängen zu befreien und die Bedeutung des gelegentlichen Nichtstuns für die Erholung von Körper und Geist nicht erkennt, spielt mit der eigenen Gesundheit.

Finde deine Geschwindigkeit!

Manche Menschen können Stress besser verarbeiten als andere. Wenn wir einen Passat fahren, sollten wir nicht versuchen, uns mit dem Porsche des Nachbarn zu messen. Dieses Rennen können wir nur verlieren und am Ende haben wir nur uns selbst geschadet.

Das Geheimnis liegt darin, die eigene Richtgeschwindigkeit zu finden. Sie sollte so gewählt sein, dass wir unseren Kraftstoffverbrauch möglichst optimieren und bei Bedarf auch den ein oder anderen Überholvorgang durchführen können. Das System sollte regelmäßig auf Fehler analysiert und unser Fahrverhalten entsprechend angepasst werden, schließlich wollen wir dieses Auto noch viele Jahre fahren!