Es klingt paradox, etwas durch Reduktion bereichern zu können und doch ist es genau das, was den Minimalismus im Kern ausmacht. Um einen Eindruck davon zu verschaffen, worum es dabei überhaupt geht, folgt nun eine Auswahl dessen, wie das eigene Leben durch gezielte Minimierung und bewusste Betrachtung nachhaltig verbessert werden kann und warum Weniger am Ende tatsächlich oft Mehr ist.

1. Weniger Kram

Der meist erste und natürlich auch naheliegendste Schritt, sich dem Minimalismus zu nähern, ist das Entsorgen von kaputten oder schlicht nicht mehr benötigten Sachen.

Eine minimalistische Einstellung hilft dabei, jene Dinge zu identifizieren, denen wir echten Wert beimessen, der weit über den Kaufpreis hinaus geht, um uns so von all dem unnötigen Ballast zu trennen, der sich über viele Jahre hinweg angesammelt hat.

Dieses Aussortieren von physischen Dingen bildet darüber hinaus die Grundlage für einige weitere positive Aspekte eines minimalistischen Lebens.

You can’t reach for anything new

if your hands are still full

of yesterday’s junk.

- Louise Smith -

2. Weniger Verpflichtungen

Wir neigen dazu, aus Respekt, Anstand und dem Wunsch, niemanden zu enttäuschen, viel öfter “Ja” zu sagen, als uns eigentlich lieb ist. Wir stellen das Wohl der Anderen über unser eigenes. Während diese Einstellung äußerst lobenswert und häufig auch erforderlich ist, sollte sie überdacht werden, wenn dadurch die eigene Gesundheit negativ beeinträchtigt wird.

Auf der anderen Seite gibt es aber auch solche Verpflichtungen, die wir uns aus verschiedensten Gründen selbst auferlegen, obwohl sie objektiv gesehen nicht gut für uns sind. Etwa das Hobby, dem wir nur noch aus Gewohnheit nachgehen, welches uns aber mehr Stress als Freude bereitet. Oder die Mitgliedschaft im Sportverein, die uns lediglich Enttäuschung über uns selbst beschert, wenn wir wieder mal ein Training geschwänzt haben.

Eine Reduktion unserer Verpflichtungen auf jene, die der kritischen Betrachtung ihrer tatsächlichen Notwendigkeit, ihres Nutzens und vor allem ihrer Vereinbarkeit mit der eigenen Persönlichkeit standhalten, eröffnet uns die Möglichkeit, einen größeren Teil unserer Energie auf das zu verwenden, was uns glücklich macht.

3. Weniger Stress

Unser Besitz und die Verpflichtungen, die wir eingehen, tragen einen nicht unwesentlichen Teil dazu bei, wie gestresst wir uns fühlen. Die Dinge, die uns umgeben, sorgen bewusst und unterbewusst immer für eine leichte Unruhe, da sie gewissermaßen permanent unsere Aufmerksamkeit fordern.

Mehr Dinge führen demnach zu mehr Unruhe. Und selbst in den Momenten zwischen zwei Terminen können wir oft nicht vollständig entspannen, weil wir uns innerlich bereits auf das nächste Treffen vorbereiten.

Es geht zu, wie auf einem Basar, auf dem einer lauter schreit, als der andere. Je größer die Zahl der Händler, desto schwieriger wird es, ihre einzelnen Rufe zu verstehen. Während ein Basar für eine gewisse Zeit durchaus eine interessante Erfahrung sein kann, ist er doch wahrlich kein Ort zum Entspannen.

Man stelle sich hingegen den Besuch an einem einsamen See vor. Hier gibt es außer dem weiten Wasser nur Bäume, eine Wiese und in der Ferne die schneebedeckten Gipfel einer Bergkette. Gerade genug Dinge, um uns nicht völlig verlassen zu fühlen und dennoch nicht so viele, dass sie unsere Konzentration überstrapazieren würden. Wir können jedem einzelnen von ihnen die Aufmerksamkeit zuteil werden lassen, die sie verdienen.

Weniger Kram und weniger Verpflichtungen führen im Zusammenspiel fast zwangsläufig zu weniger Stress. Nach einem anstrengenden Arbeitstag ist es schwerlich erholsam, in ein Heim zurückzukehren, von dem man förmlich angeschrien wird.

Eine aufgeräumte Wohnung mit möglichst viel offener, freier Fläche und den wenigen ausgewählten Dingen, die uns nützlich sind und uns Freude bereiten sowie ein Kalender, der auf die nötigsten Termine reduziert ist, tragen hingegen dazu bei, dass sich Körper und Seele entspannen können.

Nach einem stressigen Tag sollte man nicht in ein Chaos zurückkehren, dem man am liebsten sofort wieder entfliehen will, sondern in seine ganz persönliche Oase, in der man die nötige Energie für die kommenden Herausforderungen sammeln kann.

4. Weniger Angst

Größerer Besitz geht oft Hand in Hand mit größeren Sorgen. Viele Dinge haben auch viel hart verdientes Geld gekostet. Was, wenn mir das teure Handy aus der Hand fällt oder gestohlen wird? Was, wenn das schicke neue Auto einen Kratzer bekommt?

Wir schreiben unserem Besitz enorme Wichtigkeit zu und geben vor, er wäre unersetzlich, wenngleich dies realistisch betrachtet, wenn überhaupt, doch nur auf einen äußerst kleinen Teil zutrifft.

Minimalismus sollte selbstverständlich nicht zur Gleichgültigkeit gegenüber dem Materiellen führen - zumal der ständige Neukauf eines Handys dem minimalistischen Lebensstil eher schadet. Jedoch lockert er diesbezüglich die oft viel zu starken emotionalen Bindungen und lässt es uns als das erkennen, was es tatsächlich ist: einfach nur Dinge.

Es ist ein beruhigendes Gefühl, genau zu wissen, was ich im Falle eines Brandes aus meinem Haus retten würde: die Menschen, die ich liebe - denn am Ende sind nur sie wirklich wichtig und definitiv unersetzlich.

5. Bessere Arbeit

Die Vorstellung, Besitz und Bedürfnisse in einer Weise zu entschlacken oder zu minimieren, die es ermöglicht, freier und unbeschwerter zu leben, mag durchaus verlockend klingen. Jedoch ändert sie nichts an der Tatsache, dass die meisten von uns noch immer zur Arbeit gehen müssen, um dieses Leben finanzieren zu können.

Da ist es von Vorteil, diese Arbeit ebenfalls genauer zu betrachten. Das Eliminieren störender Einflüsse und der daraus gewonnene größere Fokus führen möglicherweise nicht nur zu einem Endergebnis von besserer Qualität, sondern gestalten auch den Weg dorthin angenehmer.

Ein aufgeräumter Schreibtisch etwa sorgt bereits an sich durch das Fehlen unnötiger Ablenkungen für eine höhere Konzentration. Eine gut sortierte Werkstatt kann die Zeit, die mit Suche nach Materialien verschwendet wird, deutlich reduzieren.

6. Bessere Beziehungen

Mit den von uns gepflegten Beziehungen verhält es sich häufig analog zu unseren Verpflichtungen. Viele von ihnen gehen wir ein, um nicht zu enttäuschen oder einfach nur vermeintlichen Anforderungen gerecht zu werden. Andere werden nur noch halbherzig aufrecht erhalten, einfach weil sie schon immer da waren.

Und ähnlich zum Einfluss auf Stress kann Minimalismus auch hier durch die Frage nach der Notwendigkeit und des positiven Einflusses auf das eigene Leben dazu beitragen, dass am Ende zwar weniger Menschen auf unserer Freundesliste stehen, denen jedoch gleichzeitig viel mehr Aufmerksamkeit gewidmet werden kann.

7. Mehr Platz

Das bewusste Aussortieren des eigenen Besitzes führt ganz offensichtlich in der Regel zu mehr Platz, welcher sich auf verschiedene Arten nutzen lässt. Was genau man damit anfängt, ist natürlich individuell verschieden. Wie in vielen anderen Punkten öffnet Minimalismus auch hier lediglich einige Türen und es gilt, diejenige zu finden, die das eigene Leben in möglichst großem Grade bereichert.

I can only show you the door.

You are the one that has to walk through it.

- Morpheus (The Matrix) -

Mehr Platz bedeutet weniger benötigte Fläche und ermöglicht etwa den Umzug in eine neue und kleinere Wohnung. So lassen sich unter Umständen bares Geld sparen sowie neue Chancen ergreifen, die am alten Wohnort nicht möglich waren.

Neu gewonnener Raum kann (möglichst nicht im gleichen Ausmaß) dazu genutzt werden, ihn bewusst so zu gestalten, dass er dazu beiträgt, die eigenen vier Wände zu der bereits erwähnten Oase zu machen.

8. Mehr Zeit

Dass weniger Verpflichtungen und somit weniger Termine die Zeit erhöhen können, die wir für uns selbst zur freien Verfügung haben, dürfte unstrittig sein. Dass aber auch weniger Besitz zu mehr Zeit führen kann, ist unter Umständen zunächst verwirrend. Dabei wird es ganz deutlich, sobald man sich näher damit auseinander setzt.

Die Dinge, die unser Heim füllen, wollen aufgeräumt, umgeräumt und sortiert werden. Gelegentlich müssen sie geputzt und schlimmstenfalls irgendwann sogar repariert oder ersetzt werden. Außerdem dauert die Suche nach einem dringend benötigten Gegenstand viel länger, wenn dieser unter einem riesigen Haufen unnützem Kram begraben liegt.

Ein minimalistisches Leben ermöglicht es durch die Besinnung auf solche Aktivitäten und Besitztümer, die wirklich einen Platz darin verdient haben, unsere Zeit, die uns leider nur sehr begrenzt zusteht, besser und sinnvoller zu verbringen.

9. Mehr Geld

Der Preis der Dinge, die wir in unser Leben bringen, beläuft sich nicht ausschließlich auf den Betrag, der auf dem Kassenzettel steht. Zwar lässt sich bereits dieser durch einen minimalistischen Lebensstil deutlich verringern, doch erst mit Blick auf die Folgekosten wird deutlich, wie viel die Dinge eigentlich kosten.

Sie gehen verloren oder kaputt, müssen repariert oder gleich ganz ersetzt werden. Sehr teure Gegenstände werden darüber hinaus häufig versichert, wodurch ihr effektiver Preis nur weiter erhöht wird.

Minimalismus hilft demnach nicht nur dabei, mehr Geld Ende dieses Monats zur Verfügung zu haben, sondern reduziert im gleichen Zug sogar mögliche, und teilweise unvermeidliche, Folgekosten in der Zukunft.

10. Mehr Freiheit

Stell dir vor, dir kommt morgen die aufregende Idee, dein altes Leben hinter dir zu lassen, um auf einer Weltreise all die schönen Orte zu sehen, von denen du schon immer geträumt hast. Doch dann trifft dich die Realität mit voller Wucht.

“Wohin mit meinem ganzen Zeug?”, “Wie bekomme ich all meine Sachen, von denen ich glaube, dass ich sie dringend benötige, in meinen Koffer?” und “Wie soll ich das nur alles bezahlen?”

Die wunderschönen Vorstellungen vom großen Abenteuer werden jäh zerschlagen durch falsche Prioritäten.

Eine übertriebene Vorstellung darüber,

was wir brauchen hindert uns häufig daran,

das zu tun, was wir wollen.

Durch die Lösung unnötiger, oft emotionaler Bindungen zu materiellen Dingen einerseits, sowie andererseits die Erkenntnis darüber, was wirklich gebraucht wird und was nur schmückendes Beiwerk ist, schafft Minimalismus die Freiheit, auch die verrücktesten Ideen in die Tat umsetzen zu können.

Ein eigenes Leben

Selbstverständlich sind alle aufgeführten Punkte höchst subjektiv und werden kaum vollständigen Anklang unter allen Lesern finden. Doch darin soll auch überhaupt nicht das Ziel liegen - weder dieses Artikels, noch des Minimalismus insgesamt.

Sie sollen dazu inspirieren, einen kritischen Blick auf das eigene Handeln zu werfen und die als selbstverständlich angenommenen Normen zu hinterfragen, um mit einem gesunden Verständnis für das Wesentliche schließlich das eigene Leben nach den eigenen Vorstellungen gestalten zu können.