Was klingt, wie eine abwertende Bemerkung, ist in Wahrheit der Hoffnungsschimmer für all jene, die sich ununterbrochen darum sorgen, was andere von ihnen denken.
Wer kennt das nicht: zum Mittag gab es Nudeln und durch eine kleine Unachtsamkeit landete ein winziger Spritzer Tomatensoße auf dem Hemd. Wie auf Kommando erheben sich die Menschen um uns herum, zeigen mit dem Finger in unsere Richtung und beginnen, lauthals zu lachen und verächtlich mit dem Kopf zu schütteln.
Obwohl davon auszugehen ist, dass niemandem jemals in der Geschichte ein solches Schauspiel widerfahren ist, läuft es so oder so ähnlich doch immer wieder in den Köpfen der Menschen ab. Wir gehen davon aus, dass alle Augen im Umkreis auf uns gerichtet sind und nur darauf warten, dass uns etwas misslingt.
Was jetzt kommt, mag für so manchen eine Enttäuschung sein. Die Wahrheit ist nämlich, dass keiner von uns der Mittelpunkt der Welt ist. Die Menschen, denen wir begegnen, haben so sehr mit ihren eigenen Flecken zu tun, dass sie den unserer Meinung nach leuchtenden roten Punkt auf unserem Hemd überhaupt nicht wahrnehmen.
Und selbst wenn er ihnen auffällt, halten sie ihn vielleicht für einen Schatten, oder er ist ihnen schlicht vollkommen gleichgültig, denn sie haben im Moment Wichtigeres im Sinn, als sich um ein offensichtliches Missgeschick Gedanken zu machen.
Lampenfieber
Es gibt sogar einen wissenschaftlichen Begriff für dieses Phänomen. Der sogenannte “Spotlight-Effekt” beschreibt die Einbildung, dass einem andere Menschen viel mehr Aufmerksamkeit schenken, als es tatsächlich der Fall ist.
Leider ist dieses Licht nicht gleichmäßig verteilt. Da wir dazu neigen, unsere Fehler höher zu bewerten, als unsere Erfolge, gehen wir davon aus, dass besonders unsere negativen Seiten beleuchtet werden, während Dinge, die uns gut gelingen, unwichtig in der Dunkelheit verschwinden.
Wenn der Erfolg zum Misserfolg wird
Nachdem wir vor einigen Jahren in unser Haus eingezogen waren, beschlossen wir den Bau eines Kamins. Horrende Kosten für den Aufbau veranlassten uns dazu, diese Aufgabe selbst in die Hand zu nehmen. Alles verlief soweit gut und nach einigen Tagen harter Arbeit war das gute Stück bereit für seinen ersten Einsatz.
Bei einer letzten Begutachtung mussten wir jedoch mit Schrecken feststellen, dass sich der Sockel des Kamins trotz akribischer Ausrichtung um wenige Millimeter verschoben hatte. Änderungen waren zu diesem Zeitpunkt nicht mehr möglich, also mussten wir uns Wohl oder Übel damit abfinden.
Diese minimale Verschiebung hatte keine Auswirkungen auf die Funktionalität des Kamins und doch waren wir enttäuscht und vergaßen für eine Weile, uns über das zu freuen, was wir erreicht hatten: wir hatten einen Kamin gebaut!
Wir erwarteten, dass jeder künftige Besucher uns unverzüglich auf diesen Pfusch hinweisen und uns für minderwertige Arbeit kritisieren würde. Die Realität war natürlich eine ganz andere.
Bei den vielen Menschen, die unseren Kamin in den darauffolgenden Jahren gesehen hatten, schwankten die Reaktionen ausnahmslos zwischen der neutralen Kenntnisnahme des Bauwerks und der Anerkennung für ein gelungenes Projekt. Lediglich eine einzige Person bemerkte die Abweichung und selbst ihr war es am Ende völlig gleichgültig.
Nutze das Rampenlicht
Wir konnten aus dieser Erfahrung lernen. Wir erkannten, dass der Spotlight-Effekt ein Massenphänomen ist, an dem wohl die meisten von uns leiden und dass wir genau diesen Umstand zu unserem Vorteil nutzen konnten.
Das Bewusstsein,
dass jeder zumeist nur sein eigenes Licht sieht,
verdrängt das unmögliche Bestreben,
fehlerfrei zu sein.
Jeder Mensch hat seine Sorgen und Probleme. Und so traurig es klingen mag: solange man sie nicht explizit auf die eigenen aufmerksam macht, werden sie ihnen höchstwahrscheinlich nicht einmal auffallen, ganz abgesehen davon, dass sie sich einfach nicht dafür interessieren.
Eine selbsterfüllte Prophezeiung
Ich erinnere mich außerdem an einen Vorfall in einem Restaurant vor ein paar Jahren. Ein Mann kam von der Garderobe und war auf dem Weg zu seinem Tisch. Etwa auf der Hälfte stieß er versehentlich gegen eine Stuhllehne, geriet in’s Stolpern und wäre beinahe gestürzt.
Da wir in ein Gespräch vertieft waren und dem Mann offenbar nichts weiter passiert war, wandten wir uns ihm nur kurz zu, schenkten ihm aber keine weitere Beachtung.
Als er jedoch in offensichtlicher Verlegenheit begann, lauthals darüber zu fluchen, was der Stuhl denn eigentlich dort zu suchen hätte, war ihm die Aufmerksamkeit des ganzen Raumes gewiss. Er suchte nach Rechtfertigungen, für etwas, das nicht der Rede wert gewesen wäre, um so einer erwarteten Blamage zu entgehen und erreichte gerade dadurch genau das Gegenteil.
Der Stuhl wurde beiseite genommen, ein Kellner entschuldigte sich und es wurde wieder ruhiger. Doch nach einem Blick in die Runde war ich mir sicher, dass er für viele der anderen Gäste nun zum Hauptgesprächsthema geworden war. Er hatte sich selbst durch sein Theater so interessant gemacht, dass wir unsere eigene Bühne verließen, um diese Show genauer zu sehen.
Gut gerettet
Ganz anders verlief eine Begegnung einige Monate später: Eine Frau kam mir schnellen Schrittes auf dem Bürgersteig entgegen. Plötzlich stolperte sie über eine Baumwurzel und konnte sich gerade noch auf den Beinen halten.
Anders als dem fluchenden Mann im Restaurant schien es ihr allerdings nichts auszumachen, dass möglicherweise dutzende Menschen ihren Fehltritt beobachtet hatten. Sie lachte kurz, als mache sie sich über sich selbst lustig, und setzte ihren Weg unbeschwert fort.
Diese Art der Reaktion hat mich überrascht und beeindruckt. Unwillkürlich musste ich ebenfalls lachen, jedoch nicht über sie, sondern mit ihr, denn ich wusste, dass es genauso gut auch mich hätte treffen können.
Die Szene im Restaurant ist mir bis heute sehr präsent im Gedächtnis, die Erinnerung an die Frau nur sehr blass und vor allem: nicht negativ, sondern inspirierend.
Befreie dich von den Zwängen
Wir müssen lernen, dass die Angst, uns zu blamieren, in den allermeisten Fällen völlig unbegründet ist und unser Leben nur unnötig erschwert. Wir müssen uns von der Vorstellung befreien, wir stünden unter ständiger und genauester Beobachtung.
Die Erkenntnis, dass wir selbst unser größter Kritiker sind,
gibt uns die Macht, darüber zu entscheiden,
wie sehr wir uns durch die Sorgen um fremde Meinungen belasten wollen.
Von all unseren kleinen Missgeschicken fällt nur ein Bruchteil unserer Umwelt tatsächlich auf. Wenn wir diese dann als gewöhnliche menschliche Unzulänglichkeiten akzeptieren, können wir ihnen mit einem Lächeln begegnen und auf diese Weise so manch unangenehme Situation zu etwas Positivem wenden.